Ein Gehirn, das Gewichte stemmt, auf gelbem Hintergrund

Denken ist anstrengend: Wieso unser Gehirn Gewohnheiten liebt

von Cordelia Hagi

 

Als ich heute Morgen in mein Auto einsteigen wollte, war ich plötzlich unsicher, ob ich die Haustüre abgeschlossen hatte. Als ich nachsah, war sie, natürlich, verschlossen. Aus Gewohnheit habe ich es unbewusst erledigt, ohne mich wenige Minuten später noch daran erinnern zu können. In solchen Momenten wird mir bewusst, wie sehr unser Alltag von Gewohnheiten geprägt ist. Der Blog beantwortet die Frage, wieso unser Gehirn faul ist und wie wir es überlisten können.

Was sind Gewohnheiten aus neurowissenschaftlicher Perspektive?

Per Definition sind Gewohnheiten mehr als nur sich wiederholendes Verhalten. Sie verlangen wenig bis gar keine Kontrolle und erfordern damit meist minimales Nachdenken. Kein Wunder also, dass wir ausgeführte Tätigkeiten, wie das Abschliessen der Haustüre, manchmal nur wenige Augenblicke später wieder vergessen.

Erinnerst du dich wie schwierig es anfangs war Autofahren zu lernen? Das Zusammenspiel aus Kupplung, Gas und Bremse hat mich damals so einige Nerven gekostet. In der Tat setzen neue Aktivitäten zu Beginn die volle Aufmerksamkeit voraus. Mit dem Üben speichert das Gehirn die Funktionsweise ab und die Aktion wird zur Routine. Als trainierte Autofahrerin setze ich mich heute selbstverständlich ins Auto und überlege nicht mehr, wo sich Kupplung oder Gas befinden. Autofahren wurde zur Gewohnheit. Durch den Automatismus spart unser Gehirn wertvolle Energie. Passend dazu sagte der Hirnforscher Gerhard Roth einst:

«Denken ist aufwendig! Routinen helfen dem Gehirn, Energie zu sparen und Risiken zu minimieren. Das ist neurobiologisch sinnvoll, ja überlebenswichtig.» – Prof. Gerhard Roth

Ähnlich wie das Beispiel des Autofahrens demonstriert, bauen wir in unserem Leben unzählige Routinen auf. Bereits im Kindesalter entwickeln wir Automatismen, jedoch gewöhnen wir uns auch in allen späteren Lebenslagen immer wieder neue Verhaltensmuster an.

Die Rolle von Gewohnheiten im Alltag

Gewohnheiten dominieren unser Leben. Vom Wecker abschalten, über das Starten der Kaffeemaschine bis zum Zähneputzen nach dem Aufstehen erledigen wir über 80 % unseres Tuns automatisch. Weshalb ist das so? Unser Gehirn strebt nach Effizienz. Es sucht nach Mustern und Routinen, um Energie zu sparen und Entscheidungsprozesse zu vereinfachen. Gewohnheiten sind das Ergebnis dieses Bestrebens. Wenn wir eine Handlung wiederholt ausführen, wird sie in unserem Gehirn verankert und schliesslich zu einer automatischen Reaktion. Dies kann sowohl hilfreich als auch hinderlich sein. Denn während positive Gewohnheiten, wie regelmässiges Sporttreiben oder das Lesen vor dem Schlafengehen, unser Leben verbessern können, können Gewohnheiten wie das ständige Greifen zum Smartphone oder übermässiges Naschen uns negativ beeinflussen.

Gewohnheiten sind Fluch und Segen zugleich. Stellen wir uns nur vor, wie anstrengend das Leben wäre, wenn wir uns täglich überlegen müssten, wie man die Zahnbürste bewegt. Gewohnheiten geben uns Kapazität für wichtigere Dinge und Luft, um Neues wahrzunehmen. Hingegen bewegen wir uns durch Routinen auf Autopilot. Indem wir immer in den gleichen Bahnen denken, schmälert sich unsere Vorstellungskraft und wir verlernen neue Perspektiven einzunehmen. Dies verringert unsere Kreativität.

Spielen als Irritation des Gehirns

Um eine günstige Balance aus Fluch und Segen unserer Gewohnheiten zu erreichen, kommt wortwörtlich das Spiel ins Spiel. Das Spiel hat die bemerkenswerte Fähigkeit in unserem Gehirn eine Irritation zu erzeugen. Durch die Irritation ist in unserem Gehirn ein Feuerwerk neuronaler Aktivität zu beobachten. Dies signalisiert, dass etwas Unerwartetes passiert und die Person nicht weiter von ihrer Intuition (Erfahrungsschatz) zerren kann. Und genau damit wird der gewünschte Effekt erzielt. Wir werden nämlich aus der Komfortzone gelockt und unser Gehirn muss wieder arbeiten. Die Irritation weckt die Kreativität und führt so zu einem Perspektivenwechsel. Es gelingt uns neue Ideen zu testen, verschiedene Herangehensweisen auszuprobieren und so auch spielerisch mit Herausforderungen umzugehen. Das Spiel ist ein Ort der Freiheit, Neugierde und des Entdeckens. Wie mache ich mir das Spiel bei Gewohnheiten zunutze?

Beispiel aus dem Arbeitsalltag

Im Vergleich zum kindlichen Spiel hat sich mit dem Erwachsenwerden einzig die Spielwiese verändert. Heute finden die Spiele nämlich meist in unseren Gedanken statt. Friedrich Schiller sagte einst: «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»

Würden wir nicht mehr spielen, würden wir wie ein Computer auf Inputs reagieren und genau das ausspucken, wofür wir programmiert wurden. Es gäbe also keine Lebendigkeit und Ideenvielfalt. Zudem wären wir längst von der künstlichen Intelligenz ersetzt worden.

Ich habe dir hier ein paar simple Aufgaben zusammengestellt, die deinem Gehirn eine Irritation vermitteln sollen, um aus deiner Gewohnheit auszubrechen und das Gedankenspiel zu entfachen.

  • Arbeitsplatzwechsel
    Tausche mit einem Kollegen den Arbeitsplatz, um dich von einer neuen Umgebung inspirieren zu lassen. Falls du im Home-Office arbeitest, kannst du deinen Arbeitsplatz beispielsweise für den Nachmittag an den Mittagstisch verlegen oder ein ruhiges Plätzchen im Garten aufsuchen.

  • Neue Meetingstruktur
    Beginne das morgendliche Meeting einmal anders, um auch gerade bei deinen Teammitglieder ein neuronales Feuerwerk im Gehirn zu entfachen. Zum Beispiel initiierst du eine Feedback- oder Lobrunde im Team.

  • Neuer Gesprächspartner
    Suche in der Kaffeepause einen neuen Gesprächspartner und unterhalte dich mit einer Person, die du noch nicht gut kennst. Nebst den neuen Inputs dieser Person testest du damit auch gleich den Austritt aus der Komfortzone.

  • Challenge Mittagessen
    Du hast heute noch kein Mittagessen dabei? Perfekt. Vereinbare mit dir selbst die Challenge, dass du heute Mittag etwas einkaufst, dass du noch nie zuvor gekauft hast. So durchbrichst du deine Routine und allenfalls entdeckst du gleichzeitig eine neue Köstlichkeit.

  • «Ämtlitausch»
    Welches Ämtli übernimmst du im Büro? Frag deinen Teamkollegen, ob ihr für eine Woche die regelmässigen Aufgaben tauscht.

  • Neuer Heimweg
    Fahre statt des gewohnten Heimweges eine alternative Route. Eventuell gibt es eine Route über Landstrassen. Oder du legst das letzte Stück zu Fuss zurück.

Die Aufgaben unterstützen dich dabei, deine Gewohnheiten aufzubrechen und damit dein Gedankenspiel aktiv anzukurbeln. So gelingt es dir neue Inspiration und Kreativität zu sammeln.

Um mir in Zukunft den erneuten Weg zurück zur Haustüre zu ersparen, baue ich ein spielerisches Ritual in meine Gewohnheit ein. Die Fussmatte mit dem Smile dient nun als Trigger, damit ich mich bewusst ans Abschliessen der Haustüre erinnere. Welche Gewohnheit willst du zukünftig mit einem spielerischen Element kombinieren?

 

Quellen